März 14, 2010
Results of smoking Pusteblumen
Morgendlicher Frühnebel kriecht schäbig meine kurze Auffahrt herauf, die ich seit acht langen Jahren nicht mehr betreten habe. Misstrauisch sitze ich an meinem viktorianischen Fenster und luge unauffällig durch die Ritzen des weißen Fensterladens, dessen Farbe währenddessen weiterhin langsam abblättert.
Ich höre das Zischen des Falls eines Farbplättchens, wie es die kalte Morgenluft zerschneidet und warte auf das leise Klack des endgültigen Aufpralls, das das Plättchen in Millionen atmosphärische Staubpartikel und ein paar größere Stücke wie Leichenteile zerspringen lässt. Wegkehren werde ich die Sauerei wie immer nicht, lieber inspiziere ich tagein tagaus befriedigt den Farbsauhaufen vom kurzzeitig geöffneten Fenster aus, der zusehends wächst und hoffe darauf, noch mitzuerleben, wie dann jedes kleinste Stückchen Farbe dort unten liegt, verwittert festgewachsen, und der Fensterladen ungeschützt nackt das hübsche viktorianische Fenster vor Sonne und Regen zu schützen versucht.
Der Nebel kriecht mir eine Gänsehaut auf meinen kleidlosen Körper.
Ich hasse Morgennebel.
Wie ich ihn hasse!
Er zwingt mich tagtäglich noch vor Sonnenaufgang aus den wohligen Federn zum Fenster, um zu überprüfen, ob er aufzieht und ihn zu überwachen, damit er mir nichts tut.
Ich lasse ihn nicht aus den Augen. Für die abblätternde Farbe gebe ich zu dieser zwielichtigen Stunde nur mein Gehör frei. In all den Jahren habe ich es bis ins kleinste Detail für die verschiedensten Fallarten, unterschiedlichsten Wetter- und Windverhältnisse und all die ungleich großen Stücke geschult, nur damit ich nicht in die gefährdende Verlegenheit gerate, meinen Blick einen unbeachteten Moment vom Frühnebel abzuwenden.
Er muss bewacht werden.
Solange, bis er sich auflöst.
Danke, du aufsteigende Sonne.
Ein Horror für mich, der Herbst, mit all seinen Spätnebeln, Hochnebeln, Nachtnebeln. Stundenlanges Sitzen am viktorianischen Fenster, im dunklen Raum, den Fensterladen gut geschlossen, zum Schutze vor hämischen Nebelblicken.
Ich sehe, wie sich der Dunst nahe an mein Haus drückt. Zu nahe.
Ich habe das Bedürfnis, meinen Kragen zu lockern, es schnürt mir den Hals zu. Aber ich habe keine Kleidung an, ich kann mir keine Erleichterung verschaffen.
Panik steigt in mir auf.
Was, wenn der Nebel unter dem schmalen Türspalt ungefragt zu mir ins Haus eindringt?
Was, wenn er mit eiskalten Schwaden nach meinen schutzlosen Knöcheln greift?
Was, wenn er unsichtbar in meine Gehörgänge gleitet und ich nie wieder dem beruhigenden liebgewonnenem Schall der einsam fallenden weißen Farbplättchen lauschen kann, die dort draußen ihr waghalsiges Dasein fristen, schutzlos allem ausgesetzt, bis sie auf ihrem Haufen die ewige Ruhe finden dürfen? Ich sie nie wieder auf ihrem haltlosen Weg dorthin belauschen können werde, weil der grausame Nebel mir die sensiblen Gehörknochen zertrümmert und das weichgewordene Trommelfell verstümmelt?
Ich zittere am ganzen nackten Leibe, wie ich an allen unzähligen vergangenen Tagen gezittert habe, selbst an jenen, an welchen selbst morgens kein Nebel aufzieht. Denn ich weiß nie genau, ob ich vielleicht falsch sehe, meine Augen mir ein gefährliches Spielchen vortäuschen, eine zerstörerische illusion oder der Nebel eine neue Masche entwickelt hat und sich plötzlich unsichtbar seinen todbringenden Weg in meine Ohren bahnen könnte. Nie kann ich vorsichtig genug sein, Wachsamkeit ist das einzige, das mich retten kann.
Ich starre zur schweren Tür. Ich banne den dicken Nebel mit meinem heimlichen Blick durch die Ladenschlitze, damit er nicht weiterkriechen kann. Ich bete.
Hilfesuchend fasse ich an meine roten Ohrenschützer. Niemals nehme ich sie ab.
Niemals!
Sie sind dick… ganz dick.
Sie sind meine besten Freunde.
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